Kanadas Mountain Caribou
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Als die ersten weißen Siedler an der Wende des 19. ins 20. Jahrhunderts dem Run folgten, der durch verheißungsvolle Silberfunde in der Kootenay Region der westlichen Rocky Mountains von British Columbia ausgelöst wurde, betraten sie eine bislang vom Menschen fast völlig unberührte Natur. Flussläufe in den Tälern waren die einzigen Transportwege in einer Gebirgslandschaft, deren steile Berghänge von undurchdringlichem Urwald überzogen waren. Alte, verblichene Fotos zeigen die ersten Pioniere vor gigantischen Zedern, 1500 bis 2000 Jahre alt und mit einem Stammdurchmesser von mehreren Metern. Heute muss man weit in die Einsamkeit der Wälder vordringen, um noch einige dieser uralten Bäume zu finden. Die westliche Seite der Rocky Mountains, rund 800 km Luftlinie vom Pazifik entfernt, beherbergt den einzigartigen Interior Rainforest, den Regenwald des Landesinneren, der sich von Prince George in der Mitte British Columbias bis in Teile von Washington, Idaho und Montana erstreckt. Die ersten Siedler haben hier ein wahres Paradies vorgefunden, vom Klima begünstigt, die Wälder voller Wildtiere und die glasklaren Flüsse voller Fisch. Die damals vorherrschende Wildart waren die Mountain Caribou (Rangifer tarandus), als Wald- und Bergkaribus kleinere Verwandte der großen Karibus des Nordens und weltweit die einzigen ihrer Art. Während sie im Sommer Kräuter, Gräser und Büsche der subalpinen Wiesen abweideten, verbrachten sie den Winter in hochgelegenen, schneereichen Bergwäldern, deren meterlange Flechten -die nur auf alten Bäumen wachsen - ausreichend Nahrung boten. Im Vorwinter und Frühling hingegen, wenn der Schnee in den Bergwäldern zu nass und weich ist, um die breithufigen Tiere an die Flechtenbehänge der Bäume heran zu lassen, wanderten sie in die täler hinab. Dort boten ihnen dichte Regenurwälder aus riesigen Zedern, Hemlocktannen und Fichten eine Nische mit perfekten Lebensbedingungen für diese Übergangszeit. Auch heute ist das Überleben der Mountain Caribou nur in diesen Urwäldern mit ihrem speziellen Nahrungsangebot möglich. Und hier liegt das Problem, das die Tiere an den Rand des Aussterbens bringt, erzählt Aktivist Henry Hutter, Schweiz-Kanadier, der seit fast 40 Jahren in Kanada lebt. Auf den Profit, den die Baumgiganten auf dem Holzmarkt bringen, haben Holzkonzerne und Regierungen schon lange ein Auge geworfen und betreiben nunmehr seit mehr als dreißig Jahren die Abholzung eines Berghanges nach dem anderen, beklagt er. Um immer mehr dieser Kahlschläge zu verhindern, die bereits jetzt ganze Landschaften mit nackten Stellen wie Flicken eines Patchworkmusters überziehen, versucht der Umweltschützer und Naturliebhaber oftmals im Alleingang Holzfällern mit ihren modernen Maschinen den Zugang zu den schützenswerten Gebieten zu blockieren. |
Mountain Caribou Foto: Patrice Halley |
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Links: Blockade der Forststraße der Pope and Talbot Holzkonzerne, die Urwälder im Incomappleux River Valley schlagen. Rechts: Subalpiner Sommer-Lebensraum der Caribou im Incomappleux River Valley. Fotos: Tom Prior |
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Vor hundert Jahren ging die Zahl der Karibus in die Zehntausende, heute gibt es weniger als 1670 Tiere in nur noch dreizehn Herden, sechs davon mit weniger als 50 Tieren. Das ist viel zu wenig, um einen gesunden, nicht durch Inzucht geschwächten Nachwuchs zu garantieren. In die kahl geschlagenen Berghänge rücken zudem im Sommer Rehe und Hirsche aus den Tälern nach, diesen folgen Koyoten, Pumas, Grizzly- und Schwarzbären und Wölfe. Dennoch ist es wissenschaftlich nachgewiesenermaßen falsch, diese großen Raubtiere für den Rückgang der Bergkaribus verantwortlich zu machen Ihre Zahlen gehen durch den Verlust des gemeinsamen Lebensraumes gleichermaßen zunehmen zurück, sie sind in gleicher Weise gefährdet. Raubtiere aus vorgegebenen Schutzgründen für die Karibus verstärkt zum Abschuss freizugeben – wie dies von der Jagdlobby aus Eigeninteresse immer wieder gefordert wird – wäre nicht nur eine unverantwortliche, sondern auch völlig unwirksame Maßnahme, das Überleben der Mountain Caribou zu sichern. Beide, Karibus wie Raubtiere, haben eine Fortpflanzungsrate, die so gering ist, dass sie mit dem Tempo der fortschreitenden Abholzungen in keiner Weise mithalten kann. Neben den Abholzungen richten heutige populäre Touristikangebote in abgelegenen Bergregionen, wie Skilaufen mittels Hubschraubern und Pistenfahrzeugen, sowie Snowmobiltouren enormen Schaden an und tun ein Übriges. In eisigen Wintern werden die durch Nahrungsmangel ohnehin geschwächten Tiere dadurch immer wieder aufgeschreckt. In panikartiger Flucht durch meterhohen Schnee verlieren sie so ihre letzten Fettreserven, trächtige Weibchen zudem oft ihre ungeborenen Jungen. In einer globalisierten Welt, deren Natur- und Bodenschätze von Großkonzernen länderübergreifend ausgebeutet werden, ist auch Umwelt- und Naturschutz eine heute nur global zu bewältigende Aufgabe. Zusammen mit den Bewohnern der betroffenen Regionen, die der Zerstörung der alten Urwälder vor Ort etwas entgegenzusetzen versuchen, sind auch ausländische Besucher gefordert. Wer die Naturschönheiten Westkanadas genießt im Glauben, sie wären unzerstörbar, der irrt. Die letzte unberührte Wildnis in der gemäßigten Klimazone von Nordamerika, der Lebensraum der Mountain Caribou und der ebenfalls bedrohten Grizzlybären, Wölfe, Cougars (Berglöwen) und zahlreicher wichtiger, kleinerer Tierarten, kann nur mit globaler Hilfe vor der Zerstörung bewahrt werden. Die Mountain Caribou jedenfalls haben nicht mehr viel Zeit. Sie sind in Lebens- und Todesgefahr, wenn die alten Regenwälder nicht schnellstens vor weiterer Ausplünderung durch Geschäftemacher aus Wirtschaft und Politik geschützt werden. © Elisabeth von Ah, Freie Journalistin, Slocan, BC, Kanada, eMail: hauslemon@netidea.com Weitere Informationen:
Siehe auch:
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